stadtinszenierung
18.09 und 19.09.2009

12 Autorinnen und Autoren an 12 Orten in der Altstadt. Neun Komponisten, eine Komponistin, sechs Chöre, eine Bigband und eine Stadtkapelle, ein Rapper, zehn Schauspielerinnen und Schauspieler, acht Sängerinnen und Sänger und zahllose Musikerinnen und Musiker bespielen eine Stadt: Esslingen am Neckar.

Erneut wird eine musikalisch-theatrale Inszenierung Orte in Szene setzen. 2007 hatte die »stadtoper« von Susanne Hinkelbein die Stadt zum Singen und Klingen gebracht. In diesem Jahr wurden zunächst die Texte der stadtinszenierung in einem bundesweiten Literaturwettbewerb ermittelt, und Esslinger Komponisten haben ihnen eine Musik auf den Leib geschrieben, die vielfältiger nicht sein könnte.

Ob lautmalerische Sprachkollage oder volksliedhafte Weise, ob jazziger Bigbandsound oder Hip Hop Beats, ob Marschmusik oder Songbook, ob Bob Dylan oder Kurt Weill: Die Esslinger Komponisten haben sich vielfältig inspirieren lassen und die Gedichte, Szenen und Prosatexte auf ihre ganz eigene Art in Musik umgesetzt. Die Inszenierung von Christine Gnann spannt ein musikalisches Netz über die Stadt und belebt manch vergessenen Ort neu für das Leben in der »stadt im fluss«.

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Der Auftrag oder Sie sollen weiß wie Schnee herunterkommen
von Anna Breitenbach

Ungefähr 3000 wollte sie drucken, vielleicht würden’s auch 5000 werden, wenn sie schon mal dabei war. Der Junge im CopyShop – er sah dann von nahem doch etwas älter aus als ganz jung, das war die BaseCap! – machte sich an die Arbeit, gab von seinem PC aus, zu dem sie die Vorlagen geschickt hatte, den Druckauftrag an den Kopierer, legte die stärkeren Blätter ein, weiß. Er rechnete, 3000 Karten, das waren wie viel Blatt? Und gab ein, was er gerechnet hatte und druckte los bzw. das Gerät und machte sich am Schneidetisch Platz und Übersicht …

Eine Dienstleistung entwickelt sich vor dem Hintergrund der Poesie zu einer Verschwörung in Sachen Kunst. Eine Dichterin mit Auftrag und ein Kopiertechniker mit Hang zur Gründlichkeit machen gemeinsame Sache, um die Stadt für Lyrik zu gewinnen.

stadtinszenierung Esslingen – Video auf YouTube

Mitwirkende

Text: Anna Breitenbach
Regie: Christine Gnann
Komposition: Frank Wörner
Schauspieler: Regina Lebherz, Marcus Michalski
Spielort: Foyer der Württembergischen Landesbühne Esslingen (WLB), Strohstraße 1

Der Sänger und Musiker Frank Wörner (*1965 in Esslingen am Neckar) studierte u.a. Alte Musik mit Hauptfach Laute an der Schola Cantorum in Basel. Dort begann er auch ein Gesangsstudium, das er an der Opernschule in Stuttgart fortsetzte. Als Opern- und Konzertsänger gastierte der Bass-Bariton auf zahlreichen Bühnen und Festivals in ganz Europa. Sein Interesse galt schon früh der zeitgenössischen Musik. So arbeitete er in den letzten Jahren u.a. mit dem Ensemble Contrechamps in Genf, dem ensemble recherche Freiburg und dem Klangforum Wien zusammen. Neben seiner Liebe zur Alten Musik und dem klassischen Repertoire ist er ein gefragter Interpret Neuer Musik. Daneben übt er einen Lehrauftrag für Gesang an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart aus.

Die Schauspielerin Regina Lebherz arbeitet nach Malereistudium und Schauspielausbildung an verschiedenen Stuttgarter Bühnen wie der Tri-Bühne, dem Theater Rampe und in freien Theaterprojekten. Marcus Michalski war u.a. in Projekten am Staatstheater Stuttgart und der Tri-Bühne zu sehen.




Der Auftrag oder Sie sollen weiß wie Schnee herunterkommen

von Anna Breitenbach


Ungefähr 3000 wollte sie drucken, vielleicht würden’s auch 5000 werden, wenn sie schon mal dabei war. Der Junge im CopyShop – er sah dann von nahem doch etwas älter aus als ganz jung, das war die BaseCap! – machte sich an die Arbeit, gab von seinem PC aus, zu dem sie die Vorlagen geschickt hatte, den Druckauftrag an den Kopierer, legte die stärkeren Blätter ein, weiß. Er rechnete, 3000 Karten, das waren wie viel Blatt? Und gab ein, was er gerechnet hatte und druckte los bzw. das Gerät und machte sich am Schneidetisch Platz und Übersicht. Gedichte also, sagte er und: das wird seine Zeit dauern. Das wusste sie wohl auch und lehnte sich ans nächste Kopiergerät und schaute zu, wie er den ersten Satz bedruckter Bögen zu Streifen schnitt, wie er die Streifen wieder einlegte und querschnitt. Das machte er gut, das sah sie gleich. Ruhig und genau. Die kleinen Stapel Kärtchen, die dabei herauskamen, legte er ihr vorsichtig in die Hand und sie legte sie in einen leeren Papierkarton. Stäpelchen um Stäpelchen. Hin und wieder las er eins der Gedichte vor, als ob sie es nicht kannte – waren sie doch aus ihr gekommen, wie stürmisch die letzten Wochen, als wollten sie alle hier noch dabei sein und nicht zu spät erst auftauchen. Manchmal zögerte er mit einem in der Hand, manchmal lachte er kurz auf und legte es wieder zu den anderen. Das würde dauern, er wusste es, sie wusste es. Die Leute, die in den Laden kamen, wussten es nicht.
Mit unsicheren oder mit eiligen, ganz geschäftigen Gesichtern, mit unfreundlichen auch kamen sie in den Laden. Die, die sich auskannten, begaben sich gleich an ihr gewohntes Gerät – kann ich da dran? Die anderen hielten ein Blatt hin oder zwei, ein Zeugnis, ein Dokument, Wichtiges auf jeden Fall und fragten zögerlich: Kann ich eine Kopie davon haben? Taten sehr vorsichtig damit, als wäre eventuell das Gerät ein perverser Schredderer, der sich nur harmlos und kopierwillig gab und kaum hätte er ihr Blatt eingelegt, es einziehen und häckseln würde. Diese erwarteten Hilfe und Beistand. Ein paar Mal unterbrach er also, half so schnell er konnte, halbwillig, das sah sie schon, viertelswillig wurde es, je mehr sie ins Reden kamen, wenn der Laden wieder leer war. Er legte ein und zurecht und schnitt, und zwischen den Schnitten las er immer mal eins und sagte: sie sehen nach wenig aus, eigentlich. Sie sagte: man möcht’s nicht meinen, wenn man sie so sieht. Er drückte ihr den nächsten kleinen Stapel in die Hand. Sie können alles, was sie wollen, sagte sie. Und mit einem Wort, wenn’s drauf ankommt, sagte sie. Sich auf kleinstem Raum drehen, in eine andere Richtung. Ja, sagte er, sie haben alles bei sich, was sie brauchen.
Sie arbeiteten ruhig und kamen langsam voran. Aber er war in einem guten Rhythmus, sie passte sich dem an. Holte einen neuen Karton her und fing den zu füllen an. Sie redeten mal und mal nicht, über dies und das, und bald waren sie beim Leben und was sie davon hielten und schon abbekommen hatten. Und sahen wie ein Kopf unwirsch zur Tür, wenn wieder jemand eindringen wollte in den Schneideraum, das unsichtbare ZUTRITT VERBOTEN missachtend, alle Abwehrblicke ignorierend aus der Tiefe des Raumes, in dem etwas am Werden war, das mehr sein würde als ein paar hundert oder tausend Karten. Soviel wussten sie da schon, ohne es zu wissen, sagt sie heute, wenn sie auf diese Nacht zurückblickt und was sie da trieben.
Sie bekam langsam Hunger, ich auch, sagte er, und sie machte sich auf, im benachbarten Wienerwald irgendetwas kleines Fütterbares zu holen, keinesfalls konnte man seine Hände von der Schneidemaschine abziehen, fettig werden lassen. Hühnercrossies stellte sie sich vor im rüberlaufen, eine brandscharfe Soße, Pommes, zwei Bier. Was sie mitbrachte, nannte sich Chicken Pop Corn Box, die Soße war brandscharf, Pommes dabei, aus seiner Flasche trank er selber, nebenher. Ging die Tür wieder einmal auf, schauten sie erstaunt, wer es denn wagte, jetzt noch! Farbkopien? das würde aber dauernd, unabsehbar lange, hier dieser Auftrag, den man nicht unterbrechen konnte, so in zwei, drei Stunden, gegen Abend? Noch einmal vorbeischauen, das könnte man gerne. Eine Broschüre? Das war natürlich heute nicht mehr anzugehen, zu schaffen keinesfalls, bei aller Freundschaft nicht und langem Kundentum, da würden 30 Jahre Ladentreue ja nicht reichen. Er übertrieb etwas, fand sie, aber sie ließ ihn das erledigen, die Tür schloss sich wieder. Zu dem nächsten Kunden sagte er knapp: Heute geht gar nichts mehr, wir haben hier ein größeres Ding.
Sie waren eine Arbeitseinheit geworden, sie hatten eine gewaltige Sache hinzukriegen, das spürten sie mehr und mehr, die zweite Kiste füllte sich gerade mit den kleinen Stapeln, die nächste kam herbei. Sie hatten eine Mission, könnte man sagen, nach dieser Nacht würde die Stadt nicht mehr die alte sein. Er war stillschweigend ihr junger Krieger geworden, der sich ihr angeschlossen hatte, mit seinem ganzen Können. Und lieferte er nicht feinstes Material für die bevorstehende Schlacht, die Idee hatte ihre Fahne beflattert, jetzt rauschte sie im Wind – und wie.
Es war gegen sechs, Ladenschluss, als er sagte: was sind 3000, was sind 5000. Er ging an den PC und er überschlug die Vorräte an Blättern im Regal. Aber weiß, sagte sie, sie sollen weiß wie Schnee herunterkommen, feste Flocken, die fallen, still in der Nacht, aber unaufhaltsam. Anfangende Freude fühlte sie, als wären sie schon liegen geblieben, beleuchtet von den Laternen der schlafenden Stadt. Ja, sagte er, wenn das weiße Papier alle ist, hören wir auf. Und schaute sie mit fröhlicher Entschlossenheit an, als hätte ihn, ja, irgendwie der Ausdruck, den aussichtslos Liebende haben können, glückliche Verrückte. Als hätte ihn eine wunderbare Krankheit erwischt, mit Todesfolge und er wolle nichts dagegen unternehmen, gar nichts. Er druckte, er schnitt, sie stapelte.
Der CopyShop strahlt sicher wie ein kleines Schiff, dachte sie mal gegen später schon. Ein Schiff, am Rand des dunklen, verlassenen Marktplatzes gestrandet, aber festlich und übermütig illuminiert, feiert es die Nacht des Schiffbruchs. Sie blickte voll Stolz auf ihn, wie er das große Messer des Schneideapparates kraftvoll durchdrückte, als hätte er nie wieder anderes vor als dies heilige Tun zu Lob und Ehre der Poesie.
Der Kämpfer an ihrer Seite, men at work – sie war fast gerührt, wie entschlossen er dabei war, keine Fragen, keine Zweifel. Die BaseCap lag längst irgendwo abgeworfen, mit dem rasierten Kopf sah er aus wie Evey im Untergrund, als sie keine Furcht mehr kannte. Gegen zwei holte er seinen Rucksack aus dem hinteren Raum, sie füllten ihn prall voll mit den Kärtchen wie ihren Rucksack auch, ihre Umhängetasche, eine Kiste nahm er unter den Arm, die zweite schob sie ihm unter den anderen, machte ihm die Jacke zu. In der Not nahm sie dann noch die zwei Plastiktüten dazu, die er gefunden hatte – was die Hosentaschen, Jacken aufnahmen, war auch nicht wenig. Jedes eine war eins mehr, dachte sie beim Reinstopfen und: sie werden gleich herausrieseln aus uns, wie die Steinchen. Wie Hänsel und Gretel im Wald würden sie eine Spur machen. Sie schlossen den CopyShop zu und zogen leise los, in eine Stadt, die dachte, dass ihr nichts fehlte.

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