Ich sehe was, was du nicht siehst

Ein Theaterprojekt mit Blinden und Sehenden

Premiere am 1. März 2008

Blindsein ist für Sehende erschreckend und faszinierend und unvorstellbar in unserer so visuell dominierten Welt. Theater ist für Blinde eher uninteressant, weil so bildhaft. Der Widerspruch reizt, beide Gruppen zu einer Forschungsreise über das Sehen auf die Bühne zu schicken.

„Es wird anders wahrgenommen, anderes wahrgenommen, anderes als wahr angenommen“, sagt ein Blinder.

Unter der Reiseleitung der Regisseurin Heinke Hartmann haben sich 7 blinde bzw. sehbehinderte und 8 sehende Menschen von dies- und jenseits der Grenze auf den Weg gemacht, ihre Welterfahrung zu untersuchen und zu vergleichen.

Das Ergebnis ist ein Theaterabend, der das Sichtbare hörbar und erlebbar macht auch für Nicht-Sehende. Und den Sehenden die Augen öffnet für das Unsichtbare. Es wird reflektiert, getanzt, verblüfft, gefragt, gerochen, gesungen, gespielt, erzählt, gestrickt, geschmeckt, chorisch gesprochen, gerapt, getönt. Es wird provoziert und es werden die Rollen getauscht. Und es gibt eine zarte Liebesgeschichte, die die Grenzen überwindet.

Ich sehe was, was du nicht siehst. – Und gemeinsam sehen wir mehr.

www.theaterkonstanz.de

Ich sehe was, was du nicht siehst
Ausschnitt: Bitte, Licht!

Mitwirkende

Regie/Konzept: Heinke Hartmann
Textbeiträge von: Karla Kunz, Svenja Seibold, Anja Seibold, John Hull, R. M. Rilke, Anna Breitenbach, Renate Dehner und dem ganzen Ensemble
Dialoge: Renate Dehner
Dramaturgie: Hilde Schneider
Bühne und Kostüme: Joachim Steiner
Stimm- und Spracharbeit: Silke Schneider
Regieassistenz: Annina Maria Sonnenwald
Licht: Shara Werschke

Spieler:
Renate Dehner, Waltraud Faschian, Fredis Feiertag, Walli Graulich, Domenica Griesser, Roland Gruber, Hanspeter Hafen, Kurt Halbheer, Karla Kunz, Anja Seibold, Svenja Seibold, Barbara Springer, Joachim Steiner, Beate Wanzke, Ursula Wolschendorf und Lance

Bestellung der DVD „Ich sehe was, was du nicht siehst“ bei Heinke Hartmann


 

Bitte, Licht!


Chor S: Wir sehen. Wir sehen was, was ist, was wie ist, wer was ist, was los ist. Wir sehen alles sehr gut, ganz genau. Wir sehen es mit eigenen Augen.

Chor B: Wir hören das Gras wachsen.

Chor S: Wir sehen zu. Wir sehen immerzu zu. Wir sehen uns satt. Wir sehen uns über. Wir sehen uns die Augen aus dem Kopf.

Chor B: Wir fühlen uns wohl.

Chor S: Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Chor B: Wir riechen den Braten.

Chor S: Wir sehen gut aus, gar nicht gut aus, selten gut aus. Wir sehen ganz schön alt aus. Wir sehen vielleicht aus!

Chor B: Wir können Euch gut riechen.


 

sehfeld


wir sehen. wir sehen was, was ist, was wie ist, wer was ist, was los ist. wir sehen, was sache ist. wir sehen, was zu sehen ist. wir sehen es mit eigenen augen. wir sehen das so, ganz genau so. wir sehen überhaupt nicht, was das soll. wir sehen gut, so gut, so gut wie alles und nichts. wir sehen alles, sehr gut, ganz genau. wir sehen scharf, wir sehen weit, wir sehen knapp vorbei. wir sehen viel, zu viel, wir sehen viel zu viel fern. wir sehen hin, wir sehen weg, wir sehen zu. wir sehen immerzu zu. wir sehen uns satt. wir sehen uns über. wir sehen uns die augen aus dem kopf. wir sehen, was kommt. wir sehen, was läuft. wir sehen das ganze programm. wir sehen bilder. wir sehen seiten. wir sehen world wide ins web. wir sehen ins buch, in die zeitung, wir sehen es schwarz auf weiß. wir sehen das ganz klar, die dinge, wie sie sind. wir sehen die sache so. wir sehen das ganz falsch. wir sehen das nur allzu deutlich. wir sehen das ein. wir sehen das gelassen. wir sehen eine möglichkeit, aufgabe, chance, verlockung, ein potenzial, ein problem, einen widerspruch. wir sehen nichts besonderes, das gute im menschen, überall nur das schlechte. wir sehen uns entschlossen, gezwungen, getäuscht. wir sehen uns mißachtet, benutzt, mißbraucht. wir sehen uns betrogen, übergangen, verletzt. wir sehen uns vernachlässigt, verlassen, vergessen. wir sehen uns nicht richtig gesehen. wir sehen das nicht gern. wir sehen uns an. wir sehen so aus. wir sehen es selbst. wir sehen gut aus, gar nicht gut aus, selten gut aus. wir sehen ganz schön alt aus. wir sehen vielleicht aus! wir sehen uns, wann, dann, bald, sicher, später, gelegentlich, häufig, oft, flüchtig, kurz. wir sehen uns morgens, mittags, abends, um mitternacht. wir sehen uns wieder, viel zu selten, nie mehr. wir sehen uns am liebsten von hinten. wir sehen uns vor gericht! wir sehen uns offen ins gesicht, tief in die augen, genau auf die finger. wir sehen beschämt zu boden, nach der uhr, zu tief ins glas. wir sehen weiße mäuse, die fliege an der wand. wir sehen kein ufer, kein land. wir sehen alles undeutlich, verschwommen, doppelt, durch eine düstere brille. wir sehen die sonne für immer untergehn. wir sehen uns allein da stehn. wir sehen keine hilfe, keine rettung, keine lösung, keinen ausweg mehr. wir sehen den hoffnungsstreifen am horizont nicht mehr, das ende kommen, den sicheren untergang. wir sehen nach der suppe, der post, den kindern, aufs geld, nicht auf den preis. wir sehen auf qualität. wir sehen, was das kostet. wir sehen unsere belastung. wir sehen unsere grenzen. wir sehen uns vor. wir sehen uns nicht in der lage. wir sehen uns leider außerstande. wir sehen auch das risiko für uns. wir sehen wohin das führt. wir sehen durchaus die gefahr. wir sehen, was wir tun können. wir sehen uns als anwalt einer guten sache, wir sehen uns in vorderster linie, front. wir sehen uns kämpfen, auf der richtigen seite. wir sehen der gefahr tapfer ins auge. wir sehen tatenlos zu. wir sehen das europäisch, international, global, weltweit. wir sehen erst mal nach uns. wir sehen auf unsern vorteil, gewinn, verlust. wir sehen auf ordnung, auf pünklichkeit, auf sauberkeit. wir sehen nach dem rechten. wir sehen uns auf dem richtigen weg. wir sehen das viel zu kritisch. wir sehen das ganz positiv. wir sehen nach vorn. wir sehen nach dem wetter, prüfend zum himmel. wir sehen aus dem fenster, in die ferne, sehen sterne. wir sehen was von der welt. wir sehen nicht über den tellerrand. wir sehen nach den mädchen, den jungs, was geht. wir sehen auf die beine, die brust, den hintern, untern rock. wir sehen das ganze paket. wir sehen was fürs geld. wir sehen was wir haben. wir sehen was uns fehlt. wir sehen was zu machen ist. wir sehen was zu holen ist. wir sehen das nicht so eng. wir sehen übern zaun, durchs schlüsselloch, ins schlafzimmer, ins herz. wir sehen den schmerz. wir sehen rot, wir sehen schwarz, wir sehen gespenster. wir sehen alles in rosigem licht, den himmel voller geigen. wir sehen den wald vor bäumen nicht. wir sehen in die sonne, in die zukunft, vorwärts, zurück. wir sehen kaum drei schritte weit, nicht rechts nicht links. wir sehen die hand vor den augen nicht. wir sehen im dunkeln kein licht.

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