Wahrer als das, was war
Das Schreiben ist für die Autorin Anna Breitenbach Passion
Von Gaby Weiß
Sie schreibt einfache und schwierige Sätze, eindeutige und vielsagende, leichtfüßige und weniger harmlose, geerdete und schräge. Sie schreibt Wohlbekanntes und Überraschendes. Mal nimmt sie das Leben ernst, dann wieder nicht. Anna Breitenbach, 1952 in Hessen geboren, seit vielen Jahren mit ihrer Familie in Esslingen lebend, hat schon als Kind auf einem kleinen Block Gedichte geschrieben und nie etwas anderes tun wollen als schreiben: „Schriftsteller sein, das war schon in mir“.
Durch eigene Gedichte spazieren
Das Schreiben ist für Anna Breitenbach erfüllende Passion, nie Belastung, sondern immer „vergnügliche Arbeit“. Am liebsten schreibt sie frühmorgens: „Diese Noch-müde-Zeit mit dem ersten Kaffee, da ist das Bewusstsein noch nicht richtig wach und die Kontrolle durch den Verstand noch nicht eingeschaltet. Da spaziere ich durch meine (unfertigen) Gedichte“. Auch spätabends ist sie produktiv, muss aber, wenn ihr auf dem Weg ins Bett noch eine Zeile in den Kopf kommt, diese sofort niederschreiben, „sonst ist sie weg“. Und morgens findet sie dann diese Notiz, „völlig erstaunt“. Zwischen frühmorgens und spätabends steckt viel handwerkliche Genauigkeit, denn Anna Breitenbach, die Germanistik und Politik studierte, die Journalistenschule (München) besuchte und beim Radio arbeitete, stellt hohe Ansprüche an ihre Texte: „Nur ganz wenige sind Glücksgeschenke: Kommen, aufschreiben, fertig. Das, was leicht aussieht, ist sehr viel Arbeit.“ Anna Breitenbach schreibt Gedichte – manche nur wenige Zeilen lang, wie im Band „Feuer.Land“, andere ausführlicher, erzählend. Sie schreibt Kurzgeschichten, und sie hat mit „Fremde Leute“ einen Roman über eine Kindheit veröffentlicht, für den sie 2001 den Thaddäus-Troll-Preis erhalten hat. Sie hat das Glück, dass ihr Geschichten begegnen: „Ich stoße mit Geschichten zusammen, mir passieren ungewöhnliche Sachen“. Aber sie hat auch den Blick dafür, aus dem ganz Alltäglichen eine Erzählung zu machen. Die Geschichten suchen sie – vermutlich weil sie ahnen, dass sie bei Anna Breitenbach gut aufgehoben sind. Ihre Texte sind immer eine Mischung aus Erlebtem, Gehörtem, Dazuerfundenem und Weiterverarbeitetem. Wenn eine Geschichte gut wird, ist sie, so Anna Breitenbachs poetologisches Konzept, „fast wahrer als das, was war. Was wirklich war, ist nicht wahr genug für eine richtig gute Geschichte“.
Das Naheliegende
Bei ihren Gedichten sind häufig einzelne Wörter die Auslöser: „Im Frühling schwirren diese Kirschblütenblättchen überall in der Luft herum, so ist das für mich mit Wörtern. Ich schnappe ein Wort auf und das inspiriert mich zu einem Gedicht.“ Sie spielt mit Wörtern, entschlackt sie, liest sie gegen den Strich, präzisiert, entdeckt Hintergründiges oder erinnert an die ursprüngliche Bedeutung. „Wie oft sagt man: das Naheliegende. Wenn ich das für eine Szene im Bett verwende, ist dieses Wort plötzlich ganz frisch und unglaublich spannend.“
Für jede Lesung stellt Anna Breitenbach ein passendes Programm zusammen: „Es macht mir Freude zu sehen, wie meine Texte auf Menschen wirken.“ Seit 2005 betreut sie im Feuilleton der EZ die Reihe „Frische Gedichte“, in der bisher mehr als 70 nagelneue Texte bekannter und unbekannter Lyriker erschienen sind. Zudem inszeniert sie Auftritte, bei denen sie zum spielerischen Umgang mit Wörtern animiert: Wenn sie eine Wortwaschmaschine aufbaut. Wenn sie mit der kleinen Volksdruckerei das Publikum einlädt, ganz persönliche Wörter auf Holz mit nach Hause zu nehmen. Wenn sie ihre Gedichte in der S-Bahn, im Schaufenster oder auf Vespertüten unter die Menschen bringt. Wenn sie für eine große Gedichtekiste Dichter-Kollegen um neue Texte bittet und auf Kärtchen drucken lässt, die jedermann mitnehmen darf.
Gegen die Charakterisierung als „Wortaktivistin“ hat Breitenbach, von der bald ein Werk mit Stein-Gedichten erscheint, die ein Kinderbuch fertig hat und an einem weiteren Gedichtband arbeitet, nichts einzuwenden: „Ich kämpfe für die Lyrik. Gedichte sind nicht nur zum Lesen, sie machen mehr. Diejenigen Gedichte sind die besten, die das, was sie sagen, auch tun. Gedichte kann man nutzen: zum Amüsieren, zum Trösten, zum Stärken“.
Artikel vom 05.08.2010 © Eßlinger Zeitung