Anna Breitenbach











Gestaltung Greta Brumme
www.gretabrumme.de

steine


an und für sich
bleibt der stein
gern allein


Martin Mezger

Die erträgliche Leichtigkeit des Steins

Anna Breitenbachs schwerelose Postkartengedichte über schwere Jungs

Steine sind vielleicht das Menschenfernste auf der Welt. Gerade mal der dumpfen menschlichen Vorzeit dürfen die anorganischen und schwerfälligen Gesellen den Namen „Steinzeit“ geben. Dabei steckt man sich die edleren Exemplare an den Finger, baut sich auf den weniger edlen das Dach über dem Kopf, und bisweilen begegnet man ihnen gar in bildhauerischer Verwandlung zur Menschenähnlichkeit.
Kurzum: Ein bisschen dankbar könnte die Menschheit den schweren Jungs durchaus sein. In diesem Sinne lässt ihnen die Esslinger Autorin Anna Breitenbach immerhin literarische Gerechtigkeit widerfahren.
„Steine“ heißt ihre Folge von 29 Postkartengedichten plus Cover, in denen sich die Dichterin weder als lyrische Skulpteurin noch als mineralogische Metaphorikerin à la Goethe oder Stifter geriert. Vielmehr gilt dem Stein an sich Breitenbachs schwereloser Wortwitz, der freilich hintersinnige Bedeutung birgt.„steine lieben langes liegen“ ist beispielweise zu lesen.
Wenn man sich über die Chuzpe schierer Banalität mokiert, übersieht man die steinerweichende Prämisse: Dass Steine lieben können, treibt in funkelnder Nonsens-Manier seinen Scherz weniger mit dem Stein, der ja nichts dafür kann, als mit einer wohlfeil veräußerten Sprache der Gefühle, die Breitenbach obendrein verdichtet zur kühnen Zeile „die schwermut hat der stein im blut“. In Weisheiten wie „an und für sich / bleibt der stein / gern allein“ oder „der / harte abstand / hält die steine / zusammen“ scheint der Schritt vom Stein zum humanen Sein erst recht klein und tritt doch zu kurz: Was einem Gleichnis gleicht, entlarvt in Wahrheit jenen Vermenschlichungstick, der menschliches Verhaltensmaß unverhältnismäßig überträgt - und sei es auf Steine. Ironisch machen sich Breitenbachs wort- und sinnspielerische Verse auf solche Projektionen einen Reim. Zugleich aber verzaubert die schwebende Sprachkunst ihre schweren Objekte: zur erträglichen Leichtigkeit des Steins. Esslinger Zeitung 16.10.2010.